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Pfarreiblatt April

Sehen oder staunen

Sehen ist Physik. Auch die Medizin befasst sich mit dem Sehen. Kameras imitieren das menschliche Sehen. Technik simuliert das Sehen verschiedener Tiere. Aber sehen wir tatsächlich, was wir sehen?

Sehen ist etwas sehr Individuelles. Reines, unverfälschtes Sehen gibt es nicht, Sehen ist immer auch Interpretation. Wir sehen, weil unsere Umgebung Licht unterschiedlich reflektiert oder absorbiert. Jedoch wissen wir erst, was wir sehen, wenn unser Gehirn diese Impulse interpretiert. Ich nehme «etwas» anders wahr als Sie, deute es anders, gebe eine andere Bedeutung. Und spätestens seit dem kleinen Prinzen von St. Exupéry wollen wir nicht nur mit den Augen sehen, sondern auch mit dem Herzen – das macht die Sache auch nicht unbedingt einfacher.

Zeit und Entfernung
Dann wären da noch die optischen Täuschungen, die uns Streiche spielen und ausserdem die Faktoren «Zeit» und «Entfernung», die uns verwirren können. Es stellt sich sogar die Frage, ob wir überhaupt sehen, was wir sehen oder ob das, was wir sehen, gar nicht (mehr) existiert. Stellen Sie sich vor, ein Stern ist 2000 Lichtjahre entfernt und erlischt heute. Dann erfahren wir dies erst in 2000 Jahren. Oder umgekehrt: Wir sehen heute noch Sterne, die zur Zeit Jesu bereits erloschen waren.

Ostern sehen oder glauben
Ich versuche, das Ganze umzukehren. Wenn wir davon ausgehen, dass Jesus vor gut 2000 Jahren auf unserem Planeten geboren, kreuzigt und begraben wurde und auferstand … und wir uns vorstellen, dass wir von einem etwas mehr als 2000 Lichtjahre entfernten Himmelskörper aus auf diese Erde blicken würden: Könnten wir dann heute sehen, was damals in Jerusalem oder anderswo geschah?
Oder ist es gar nicht entscheidend, dies zu sehen, weil «glauben» im christlichen Kontext wichtiger ist als «sehen»?

Was sind schon 2000 Jahre?
2000 Lichtjahre sind nichts. Nichts im Vergleich zu den 100 000 Lichtjahren Durchmesser «unserer» Milchstrasse. Darin blicken wir höchstens 100 000 Jahre in die Vergangenheit. Und das wiederum ist nichts – denn es ist nur ein Bruchteil der Zeit, die ein Stern existiert. Über all diese Dimensionen können wir letztlich nur staunen – wie auch über das Wunder von Ostern.

Marcel Bucher, Kommunikationsverantwortlicher des Pastoralraums