Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen.
Der Tod wird nicht mehr sein.
Keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal.
Was früher war,
ist vergangen.
Neues Testament, Buch der Offenbarung, Kapitel 21, Vers 4
Seit drei Jahren lebe und arbeite ich als Pfarreiseelsorger in Ebikon. Davor war ich 25 Jahre im Freiamt tätig, zehn davon als Spitalseelsorger im Kreisspital Muri. Die Begegnungen im Spital haben mich überaus bereichert, berührt und dankbar gemacht.
In dieser Aufgabe bin ich regelmässig auf der Geburtsabteilung gewesen und habe mich mit den Müttern und Vätern über ihr neugeborenes Kind gefreut. In besonderer Erinnerung geblieben sind mir jene Besuche, als plötzlich mein Piepser ertönte und eine Pflegefachperson mich suchte. Ein Patient liege im Sterben. Ob ich sogleich vorbeigehen könne? Ich verabschiedete mich von den glücklichen Eltern und war kurze Zeit später beim sterbenden Menschen. Ein existentieller Wechsel innert Sekunden.
Im Zimmer setzte ich mich jeweils ans Bett und verblieb in Stille. Wenn ich glaubte, es wäre angebracht, legte ich meine Hand auf jene des sterbenden Menschen. Er soll spüren können: Ich bin nicht allein. Je nach Gefühl habe ich ein Lied gesummt oder gesungen, ein Gebet gesprochen, häufig still.
Mehrere Male bin ich unmittelbar dabei gewesen, als der Mensch verstarb. Diesen Übergang zu erleben und zu begleiten, hat mich mit tiefer Ehrfurcht erfüllt. Und ich habe es als grosse Ehre empfunden.
Was mir auffiel: Ich habe bei den Sterbenden nie Tränen gesehen. Weder bei jungen noch bei alten Menschen.
Warum weinen Sterbende nicht?
Stattdessen habe ich eine grosse Ruhe wahrgenommen, ein leises Weitergehen. Natürlich wirkten die Medikamente. Doch das allein war es nicht. Ich habe deutlich gespürt: Da geschieht etwas, das zu den tiefsten und persönlichsten Momenten des Menschseins gehört. Ein Geheimnis, das grösser ist als das Irdische, das Wahrnehmbare.
Für mich war ganz konkret der lebendige Gott spürbar, der diesen Menschen mit offenen Armen und voller Liebe in seiner «neuen Welt» willkommen hiess. Und diese Liebe erfüllte die Ankommenden mit Frieden und Ruhe.
Mögen wir – nicht nur in diesen Novembertagen – getrost an unsere Verstorbenen denken. Und mögen wir voller Vertrauen unserem eigenen Sterben entgegengehen.
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